Aufgewachsen bin ich als Älteste von vier Geschwistern im ländlichen Ostwestfalen. Mein Vater war Jugendwart im Südbezirk des Kirchenkreises Lübbecke. Und so wuchsen meine Geschwister und ich in einem Kontext auf, der von Jugendarbeit, Gemeindearbeit und vor allem von viel Beziehungsarbeit geprägt war. Das Büro lag in unserer Wohnung. Zivis und Mitarbeitende gingen bei uns täglich ein und aus... Und so besuchte auch ich selbstverständlich Kindergottesdienst, Jungschar, Teenykreis und Teestube, fuhr mit auf Sommerfreizeiten und Silvesterfreizeiten und genoss es, schon früh bei Veranstaltungen der Jugendarbeit mit dabei sein zu können.

meine Geschichte

Drei Momente meiner Jugend haben mich besonders geprägt:

Zum einen war das meine Konfirmation, die ich als sehr bewussten Schritt wahrgenommen habe, mein Leben unter den christlichen Glauben zu stellen. Zugleich markiert die Konfirmation den Beginn meines ehrenamtlichen Engagements.

Der zweite Punkt war die Gründung von TenSing Lübbecke im Herbst 1988, bei der ich dabei war, und das Mitgestalten von fünf TenSing-Shows. In dieser Zeit ist die Gruppe auf bis zu hundert Jugendliche angewachsen. Ich habe zunächst in der Theatergruppe mitgespielt. Mit 16 Jahren habe dann die Aufgabe übernommen, den Chor zu dirigieren. Zusätzlich war ich im Orga- und Programmteam aktiv und verantwortlich für das Kreativteam, das sich um T-Shirts, Plakate, Programmheft und Bühnenrückwand kümmerte. Diese frühe Verantwortungsübernahme und das Vertrauen, das man mir entgegengebracht hat, waren für mich sehr einprägsam. Wir als Jugendliche wurden ernst genommen und wir hatten viele Gestaltungsfreiheiten. Höhepunkt war ein Auftritt auf dem Kirchentag 1993 in München, wo wir in einer vollen Aula spielten.

Der dritte prägende Moment war eine Fahrt zu unserer Partnerkirchgemeinde in Biesdorf (Ostberlin) in der ersten Novemberwoche 1989. Dort wurde ich Zeugin der Stimmung unter den Jugendlichen der Jungen Gemeinde in den Tagen vor dem Mauerfall und nahm an der Demonstration auf dem Alexanderplatz mit teil. Nie hätten wir vermutet, dass sich schon Tage später die politischen Verhältnisse völlig umkehren sollten. Am 10. November saß ich heulend vor dem Fernseher, war glücklich und überwältigt. Bis heute bin ich dankbar für die friedliche Revolution, verstehe die Wiedervereinigung als ein großes Geschenk und freue mich über die Möglichkeiten, die durch die Wende entstanden sind.


Beruflich in die Jugendarbeit zu gehen stand für mich schon früh fest. Ich habe nie über Alternativen nachgedacht. Die Jugendreferent:innen, mit denen ich hauptsächlich zu tun hatte, kamen von der CVJM Sekretärschule und von daher stand auch der Ausbildungsplatz nicht zur Diskussion. Zunächst ging es noch für ein Jahr zu einem FSJ zum CVJM Wuppertal-Oberbarmen. Dort lernte ich einen CVJM-AG-Verein kennen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, in sein Umfeld hinein zu wirken. Dies geschah damals vor allem durch die Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die zu einem sehr großen Teil eine Migrationsgeschichte hatten. Aber auch das familiäre Miteinander der Vereinsmitglieder beeindruckte mich.


Von der Wupper ging es an die Drusel. In Kassel habe ich an der Sekretärschule, die dann zum CVJM-Kolleg umbenannt wurde, viel Neues gelernt, Altes losgelassen oder neu einsortiert. Die Lebensgemeinschaft in der “Villa Abendfrieden” mit jungen Erwachsenen aus allen Teilen Deutschlands war eine echte Lebensschule. In der Zeit habe ich auch meinen Mann Steffen kennengelernt, der im Semester über mir studierte. Da dieser unbedingt zurück nach Sachsen gehen wollte und wir einen gemeinsamen Weg wagen wollten, zog ich nach unserer Hochzeit 1998 nach Crimmitschau und wurde kurz darauf Jugendmitarbeiterin der Evangelischen Jugend im Kirchenbezirk Werdau. In Sachsen lernte ich wieder eine ganz andere Form der Jugendarbeit und eine weitere kirchliche Struktur kennen. Ich hielt Junge Gemeinden, veranstaltete Jungschar-Wochenenden und Freizeiten, konzipierte den “Wander-JuGo”, gestaltete Mitarbeiterschulungen und hatte meine Freude an und mit dem “Inneren Kreis”, der als ehrenamtliches Leitungsgremium in dem kleinsten sächsischen Kirchenbezirk eine Menge initiierte. Dann wurde ich schwanger und der Kirchenbezirk fusionierte mit dem Kirchenbezirk Zwickau. In den folgenden fünfeinhalb Jahren vertrat mich mein Mann auf der Jugendmitarbeiterstelle und ich kümmerte mich um die größer werdende Kinderschar. So gut es ging, versuchten wir die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Dabei war es uns wichtig, ein offenes Haus zu pflegen und unser Leben mit den Jugendlichen zu teilen. Das Büro war neben der Wohnung und die Praktikant:innen und Mitarbeitenden gingen täglich ein und aus... Nebenbei habe ich noch ehrenamtlich das Newsblättchen und die Webseite der Evangelischen Jugend in Zwickau mit Inhalten bestückt.


Im Jahr 2006 wurde uns die freie Jugendwartstelle im Kirchenbezirk Großenhain angeboten. Da dort viel Aufbauarbeit nötig sei, wäre es gut, wenn man dafür auf die Kompetenz von Zweien zurückgreifen könne, hieß es damals. Leider vergaßen wir zu regeln, wie es für mich weitergehen sollte, wenn ich die Elternzeit hinter mir lassen würde. Voller Tatendrang zogen wir auf den verwaisten Pfarrhof in Skassa und bauten diesen nach und nach zu einem Zentrum der ephoralen Jugendarbeit um. Unser Markenzeichen wurden die Ritterlager, die zunächst zwei mal und nun schon seit

vielen Jahren drei mal hintereinander in den Sommerferien durchgeführt werden. Das Programm ist jeweils gleich, Mitarbeitende und Kinder werden ausgetauscht. So können Jahr für Jahr 150 Kinder und etwa 85 Jugendliche und junge Erwachsene in das fiktive Fürstentum Platanien eintauchen, eine fortlaufende Geschichte durchleben und echte Abenteuer erleben. Bei dem Konzept war es uns wichtig, dass aufgrund der kurzen Anfahrtswege und der Nutzung des eigenen Geländes die Kosten für die Familien so niedrig ausfallen, dass eine Teilnahme für Kinder aus allen Schichten möglich ist. Gleichzeitig können wir den ökologischen Fußabdruck der Freizeiten sehr gering halten. Auf diese Weise entstand eine hohe Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit dem Pfarrhof. Uns gelang es die Mitarbeitenden zu einer tollen Gemeinschaft zusammenzuführen, die sich bis heute fortsetzt. Dabei verfolgen wir den Ansatz, dass es keine jugendlichen Teilnehmende gibt, sondern nur Mitarbeitende. Und diese werden gut geschult und erhalten eine Juleica. Nach der Elternzeit habe ich für ein gutes Jahr in einem Hort gearbeitet. Ich musste jedoch feststellen, dass die Chefin, die Kolleginnen und ich ein sehr differentes Verständnis von Pädagogik hatten. Viele Einstellungen beruhten auf Vorstellungen, die im Vorwendischen stecken geblieben waren. So verließ ich die Einrichtung wieder. Nach einem guten weiteren Jahr gelang es uns, mein bis dahin ehrenamtliches Engagement für die Evangelische Jugend in eine hauswirtschaftliche Anstellung zu überführen. Ich kümmerte mich vor allem um Arbeiten im Hintergrund und übernahm zusätzlich Verantwortung für Bereiche der Verwaltung und der Öffentlichkeitsarbeit. Ich kochte für Freizeitgruppen, mähte den Rasen und leitete einen Mädchen-Basteltreff. Ehrenamtlich betreute ich als Herbergsmutter eine Herberge auf dem Ökumenischen Pilgerweg. Zudem engagierte ich mich in der Kirchengemeinde als Mitarbeiterin im Oase-Gottesdienst und im Ortsausschuss. Für zwei Jahre war ich stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes des Kirchspiels Großenhainer Land. In dieser Zeit machte ich auch meine Weiterbildung zur Prädikantin. Es gab immer genug zu tun. Unsere Kinder wuchsen in einem Kontext auf, der von Jugendarbeit , Gemeindearbeit und vor allem von viel Beziehungsarbeit geprägt war. Das Büro lag im Erdgeschoss. FSJler lebten mit uns im Haus und Mitarbeitende gingen täglich ein und aus...

Es folgte eine erneute Fusion von Kirchenbezirken und Jugendarbeiten und die damit einhergehenden Spannungen in der Zusammenarbeit. Mein Mann wechselte dann 2018 als Referent für Jugendbildung ins Landesjugendpfarramt nach Dresden. Da der Kirchenbezirk die Arbeit auf dem Jugendpfarrhof nicht fortsetzen wollte, wurde auch meine Stelle nicht mehr gebraucht. In der Zeit, als sich das abzeichnete, wurde im Landesjugendpfarramt ein:e Referent:in für den Ökumenischen Weg gesucht und ich habe mich der neuen Herausforderung gestellt. Knapp drei Jahre durfte ich für die Initiative arbeiten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Themenfelder des konziliaren Prozesses wieder mehr in den Fokus der Gemeinden zu rücken. Ich habe mich um die Organisation von Veranstaltungen gekümmert, mich um die Vernetzung von Aktiven bemüht, war zuständig für die Koordination und Kommunikation innerhalb der Initiative und habe viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Zudem gab es Projekte mit verschiedenen Partnern, wie dem Landesjugendkonvent, dem Ökumenischen Informationszentrum in Dresden, anders wachsen, der ACK Sachsen, dem Pilgerweg für Klimagerechtigkeit usw. Ein bleibendes Zeugnis aus dieser Zeit sind die Webseite des Ökumenischen Weges und “Der grüne Faden für nachhaltige Freizeiten” mit Informationen und hilfreichen Tipps für die Freizeitarbeit. Leider gab es in der Landeskirche kein Interesse daran, die Projektstelle fortzuführen. Vor allem die Beschäftigung mit den Themen Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und der sozialökologischen Transformation hat mich sehr ins Nachdenken gebracht und ich habe an vielen Stellen Dinge in meinem Alltag verändert. Mein gesammeltes Wissen und die Erfahrungen darf ich dann ab November 2023 in die “anders wachsen”-Arbeit im Stadtteil Dresden Johannstadt einbringen.

Bereits im Jahr 2016 habe ich angefangen an der Fernuniversität in Hagen Bildungswissenschaft zu studieren. Zum einen habe ich mir damit den Traum erfüllt, noch einmal ein Studium anzugehen. Zum anderen sollte mir das Studium einen beruflichen Neustart ermöglichen, da meine

bisheriger Abschluss in Sachsen nur begrenzt anerkannt wird. In diesem Studium habe ich nicht nur Selbstlernkompetenz erworben. Es brauchte einen langen Atem, viel Disziplin und Durchhaltevermögen, um letztendlich sechseinhalb Jahre später endlich mit einem Bachelor abzuschließen. In der Zeit habe ich viel Neues gelernt, Altes reflektiert und mich in der Auseinandersetzung mit neuem Wissen verändert. Es haben Bildungsprozesse stattgefunden und die haben meinen Wunsch, gesellschaftliche Phänomene besser verstehen zu lernen, weiter angefacht. Auch die Themen Wiedervereinigung, Zusammenwachsen von West- und Ostdeutschen und die nach wie vor bestehenden Fremdheitserfahrungen konnte ich in meinem Studium wieder aufgreifen. Diese Forschungsarbeit hat meinen Horizont sehr erweitert. Da mich vor allem die soziologischen Anteile im Studium so fasziniert haben, habe ich beschlossen Soziologie weiterzustudieren, um dann vielleicht irgendwann einmal in ferner Zukunft mit einem Master abzuschließen.

















Der Pfarrhof ist nach unserem Auszug nicht wieder verwaist. Wir haben mit einigen Mitstreiter:innen den CVJM Jugendpfarrhof Skassa e.V. gegründet, der nun die Arbeit dort weiter fortführt. Der Verein wächst kontinuierlich. Kinder und Jugendliche haben nach wie vor einen Ort, wo sie sich entfalten können und wo sie im Sommer die beste Woche des Jahres erleben.

Kontakt

Kerstin Göpfert

Großenhainer Str. 17

01561 Priestewitz


k.goepfert[at]posteo.de




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